Auf ein Bier mit Horst
Und ewig schweigen die Täter
Ich sitze am Küchentisch und lese die Zeitung. Was ich da lese, lässt mich an meinen Biervorrat im Kühlschrank denken. Ist er ausreichend? Dieter wird vorbeikommen und mit mir diese unsägliche Meldung erörtern. Er wird sie zerpflücken, auseinanderreden, zusammenschieben, lüften, drehen, wenden. Es wird alles nichts nützen, verstehen werden er und ich sie trotzdem nicht.
Die Menge an Bierflaschen ist ausreichend, für mich lege ich noch eine Flasche Weißwein in die Kühlung und stelle das Gerät auf superfrost. Es kann nicht mehr lange dauern bis Dieter sich bemerkbar macht. Er wird auf dem Rückweg seiner Hunderunde einen Grund finden, bei mir zu klingeln.
Als es schellt, habe ich das Tablett mit den Gläsern und den Schmalzbroten fertig, die Wasserschüssel für Horst steht auch schon bereit.
Da sind Sie ja endlich. Ja, Horst kann mit reinkommen.
Ich kann es nicht glauben poltert Dieter auch schon los welcher Teufel ist in die Priester gefahren? Da warnen die immer vor der großen Versuchung, der man nicht erliegen soll. Dass man in Teufels Küche kommt, wenn man schwer sündigt. Klar wollen die die Sünden von uns fernhalten, sonst würden wir vielleicht in der Küche stehen und sehen, dass der Priester schon längst da ist. Vom Teufel nicht zu unterscheiden. Wie kann die Kirche jetzt wieder nur Bedauern aussprechen? Scham empfinden? Wahrscheinlich haben die solange gewartet bis die ganze Sache an die Öffentlichkeit gebracht wurde, weil dann die meisten Täter schon verstorben sind und und die meisten Taten auch schon verjährt. Da kann die Kirche – leider – niemanden mehr zur Rechenschaft ziehen. Über 70 Jahre mehr als 1000 bekannte Fälle von Missbrauch. Ist ja klar, dass das viel mehr waren. Und die pädophilen Schweine wurden von ihren Vorgesetzten gedeckt. Und in’s nächste Kaff versetzt, wo es noch mehr Kinder zu schänden gibt.
Ich ersetze die leere Bierflasche gegen eine volle. Dieter trinkt aus der Flasche, für kultiviertes Trinken aus dem Glas bietet das Thema keine Veranlassung. Ich würde mir auch am liebsten die Flasche an den Hals setzen, tausche stattdessen mein Weinglas gegen ein Weizenbierglas und mache es halbvoll.
Prost Dieter sage ich, als ich mein Glas gegen seine Flasche stoße bin ich froh, dass nicht jeden Tag so eine Meldung in der Zeitung steht. Dieter schaut mich an Glauben Sie bloß nicht, dass das bedeutet, es gäbe die Taten nicht. Bis sowas aufgedeckt wird, dauert das eine Ewigkeit. Da kennen die Katholiken sich ja auch mit aus. Mit der Ewigkeit. Wahrscheinlich passiert es gerade in diesem Augenblick irgendwo auf der Welt unterm Priestermantel. Sollen die doch ornanieren bis ihnen das Ding abfällt.
Ich trinke einen großen Schluck und noch einen hinterher.
Dieter nimmt sich ein Schmalzbrot. Er beißt ab, kaut und legt die angebissene Brotscheibe zurück. Haben Sie noch etwas Salz? Ich nicke, hole den Salzstreuer aus der Küche, setzte mich wieder und leere mein Glas. Der Hundespaziergang scheint eine ausreichende Länge gehabt zu haben, Horst liegt wie erschlagen unter dem Tisch und muss auch nicht trinken. Hat der das gut, denke ich. Horst hat keinen blassen Schimmer von der katholischen Kirche und ihren fehlgeleiteten Priestern, Diakonen, Bischöfen und sonstigem Personal.
Dieter, was meinen Sie? Zieht die Institution Kirche durch ihre verdeckten Strukturen pädophile Männer an? Oder fördern die Strukturen und der Zölibat eine krankhafte Entwicklung von Sexualität? Und überhaupt, diese Dichte von Männern. Ähnlich wie im Militärwesen. Auch hauptsächlich Männer. Was Gutes ist da auch noch nicht rausgekommen.
Da bin ich jetzt wohl mehr bei meinem Thema angekommen. Ich hole die zweite Flasche Wein und stelle superfrost aus. Dieter noch ein Bier? Ich habe aber auch guten Schnaps. Einen Obstbrand aus der Steiermark oder Marillenschnaps aus Ungarn. Wie wär’s?
Ja, da sage ich nicht nein, nein. Ich haue mich gleich eh auf’s Ohr zum Mittagsschlaf. Da ist das ein guter Schlaftrunk. Gerne Marille.
Ich stelle zwei Pinnchen auf den Tisch und schenke ein.
Ehrlich gesagt, glaube ich, da muss Mann schon irgendwie ein besonderes Verhältnis zu seinem Körper, zum Sex, zum Leben haben, wenn Mann eine Karriere innerhalb der katholischen Kirche anstrebt. Auf Kinder stehen muss Mann ja nicht unbedingt, ich finde die könnten es untereinander treiben. Damit tun sie niemandem weh, allerdings diese komische Erfindung des Verzichts auf Sex gibt’s dann immer noch, was soll das eigentlich?
Horst ist mittlerweile aufgestanden und läuft schnüffelnd durch das Zimmer. Die Katzen sind nicht da, Horst. Die liegen tagsüber immer im Schuppen. Bereitwillig lässt er sich von mir streicheln und sinkt wieder zufrieden grunzend auf Dieters Füßen zusammen.
Hier, Dieter, hören Sie was zum Zölibat geschrieben steht. Ich habe „Zölibat“ an meinem Laptop gegoogelt und lese vor:
Verpflichtung in der lateinischen Kirche
In der lateinischen Kirche (Westkirche) ist der Zölibat gemäß Canon 277 § 1 des Codex Iuris Canonici für angehende Priester mit der Weihe zum Diakon kirchenrechtlich grundsätzlich verpflichtend. Eine ausnahmsweise Dispens von der Zölibatsverpflichtung ist dem Papst vorbehalten.
„Die Kleriker sind gehalten, vollkommene und immerwährende Enthaltsamkeit um des Himmelreiches willen zu wahren; deshalb sind sie zum Zölibat verpflichtet, der eine besondere Gabe Gottes ist, durch welche die geistlichen Amtsträger leichter mit ungeteiltem Herzen Christus anhangen und sich freier dem Dienst an Gott und den Menschen widmen können.“
Das Zölibatsversprechen stellt somit eine Vorbedingung für die Priesterweihe dar.
Was? Himmelreich? Dieter schenkt uns Schnaps nach und prustend prosten wir uns zu. Aus Himmelreich wird Pimmelreich. Ist ja ein Schenkelklopfer. Vielleicht haben die auch „Dienst am Menschen“ falsch verstanden. Muss denen mal erklärt werden. Die geistlichen Armutsträger. Noch ein Schnaps. Bereitwillig kippe ich Marillenschnaps nach.
Ne besondere Gabe Gottes. Ja, da kann wohl nicht jeder der Beschenkten was mit anfangen.
Dieter starrt vor sich hin und tätschelt Horst den Rücken. Dann steht er leicht taumelnd auf Puh, ich weiß nicht, ich werde ganz schön müde, Frau Nachbarin. Ich muss mich jetzt verabschieden. Vielen Dank für Ihre Gastfreundschaft. Nächstes Mal bringe ich was mit. Bis dahin. Komm Horst, wir gehen. Der Hund ist schon schon aufgesprungen und läuft schwanzwedelnd zur Tür. Als die beiden durch die Tür sind, dreht Dieter sich herum und sagt Wissen Sie, richtiger guter Sex, das ist doch das Himmelreich, oder? Er kniept mir zu: Nix für ungut.
Ohne abzuräumen lege ich mich aufs Sofa und denke über meine Definition von Himmelreich nach.